Passionsandacht vom 11.3.20 im Dom St. Nikolai, Kapelle XX: „Johannes unter dem Kreuz“

Herzlich Willkommen zur Passionsandacht hier im Dom St. Nikolai. In den Passionsandachten nehmen wir uns Zeit, den Weg Jesu bis ans Kreuz zu bedenken und quasi so bei ihm zu sein, an seiner Seite zu gehen. Und auch um innezuhalten und zu bedenken, was das Geschehen um das Kreuz herum mit unserm Leben jetzt, in dieser Passionszeit im Jahr 2020 zu tun haben kann.

Auch dieses Jahr finden die Passionsandachten wieder an verschiedenen Orten im Kirchraum statt, heute hier in der Kapelle XX, mit Blick auf die Kreuzigungsszene.

Kreuzigungsszene, Dom St. Nikolai
(Kreuzigungsszene, Dom St. Nikolai Greifswald)

Was sehen wir? Jesus, der seinem Auftrag und Weg treu geblieben ist, der ihn bis ans Kreuz geführt hat. Das Kreuz, zum einen grausame, aber normale Art, in der damaligen Zeit mit zum Tode verurteilten Verbrechern umzugehen; und zum anderen aber eben auch Heilsgeschehen für unser aller Leben – Gott, als Schöpfer unseres Universums, wandelt Schmerz und Tod in Gutes, in gesegnetes Leben.

In der Passionszeit gedenken wir auch Jesu Leiden; was könnte hier u.a. das Leiden sein, das wir heute bedenken? Unter dem Kreuz sehen wir nur 2 Menschen, obwohl Jesus doch immer mit einer Schar von Anhängern unterwegs war. Wir sehen 2 Menschen, eine Frau und einen Mann, aus der Bibel wissen wir, dass es Maria, die Mutter Jesu und sein Jünger Johannes sind. Johannes und Jesus, darum soll es heute gehen. Was wissen wir von Johannes? Eigentlich nicht viel: Er ist einer der 12 Jünger Jesu, vermutlich ein Fischer vom See Genezareth. Er ist zusammen mit seinem Bruder Jakobus Jünger von Jesus geworden, das lässt mich vermuten, dass er schon Zeit seines Lebens zu engen Beziehungen fähig gewesen ist, dass man wahrscheinlich gerne mit ihm zusammen war und er auch gerne mit anderen; 2 Brüder, die gemeinsam Jesus nachfolgen.

Im Evangelium wird Johannes als der Jünger beschrieben „den Jesus liebte“. Was heißt das? War Jesus seinen anderen Jüngern nicht von Herzen zugetan, liebte er die anderen nicht? Ich glaube nicht, dass das so zu verstehen ist: Nichts in der Bibel weist darauf hin, dass Jesus die anderen Jünger nicht auch liebte, sich ihnen nicht von Herzen zuwandte, aber Johannes wird Jesu Liebe im Besonderen angenommen haben können, mit einer besonderen Weite und Tiefe seines Herzens. Seine besondere Gabe. Und was wissen wir noch Weiteres von Johannes? Er ist der, der an Jesu Brust liegt zum letzten Abendmahl.


(Skulptur, Region am Bodensee um 1300 © Verlag Maria Laach)

Auf der Karte können Sie sehen, wie dieser Satz künstlerisch inspirierte, um 1300 (vom Bodensee): Johannes, der am Herz Jesu ruht, ein Sinnbild, wie groß die Nähe zwischen Jesus und uns sein kann; die Karte spricht nicht nur von Johannes Liebe, sondern auch davon, wie sehr Jesus einen jeden von uns liebt, wie menschlich ganz nah er uns sein kann und möchte. Es ist eine innige, zarte Nähe, die berührt, die nicht nur äußerlich zu sehen ist, sondern die sich auch innerlich, im Innern fortsetzt.

Und wo sind die anderen Jünger Jesu unter seinem Kreuz? Sie sind nicht zu sehen. Sie scheinen Jesu Sterben so nah nicht ausgehalten zu haben. Urteilen wir nicht über sie, denn wer weiß nicht, was tiefste Mutlosigkeit im Leben alles mit einem machen kann, wie man sich am liebsten verkriechen möchte und keine Kraft mehr für anderes, für andere hat! Aber vom Menschlichen her muss es für Jesus schmerzlich gewesen sein, dass seine anderen Jünger nicht da waren. Doch Johannes hält aus, hält mit Jesus die Situation aus. Seine tiefe Liebesfähigkeit scheint in ihm etwas bewirkt zu haben, dass er es kann. Vielleicht hat sie ihn besonders offen gemacht für das Wissen, das das normale Wissen übersteigt – er hält das Geschehen am Kreuz aus, diesen Skandal, dieses schmerzende Paradox: Gottes Sohn – scheitert! – diese absolute Hoffnungslosigkeit und ja, Sinnlosigkeit. Was war vorher nicht alles möglich gewesen mit Jesus, Wunder über Wunder und jetzt dies. Da scheint nur noch die Liebe aushalten zu können.

Und wir denken an die Verse des Paulus im Korintherbrief: “Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“ Wenn nichts mehr gilt, alles verloren ist, jegliches Vertrauen also der Glaube am Ende ist und auch die letzte Hoffnung zerstört, dann, was bleibt dann noch? Bleibt dann noch was? Die Bibel sagt „ja“. Dann bleibt noch die Möglichkeit der Liebe. Diese Liebe, die Gottes ist, deren anderer Name „Gott“ ist. Diese Liebe, die Gott in unserm Herzen Raum greifen lassen möchte. Diese Liebe, die eben „höher ist als unsere Vernunft“, wie wir im Segen jedes Gottesdienstes hören. Strecken wir uns aus nach dieser Liebe, lernen wir von ihr in Zeiten, wo es uns gut geht, damit sie uns auch in schweren Zeiten vertraut ist, wir auch dann Zugang zu ihr finden, so wie Johannes das geschafft hat. Sie ist ein Geschenk Gottes an uns.

Einer, der auch ganz und gar von der Liebe Gottes ergriffen gewesen ist, ist Johann Scheffler, Liederdichter des Liedes „Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht“, das wir gleich singen werden. Er war Mystiker, in Schlesien, im Breslau des 17.Jhdts. und wurde dort auch „Angelus Silesius“ genannt, übersetzt der schlesische Engel. Seine große Liebe zu Gott hat ihn in seinem berühmten Werk „Der cherubinische Wandersmann“ z.B. folgenden Vers dichten lassen, bei dem einem der Atem stocken kann: „Kein Ding ist hier noch dort, das schöner ist als ich. Weil Gott, die Schönheit selbst, hat sich verliebt in mich.“ Dieser Satz steht eigentlich jedem von uns zu, ihn so zu sagen. Liebe lässt Ungewöhnliches, Verwegenes sagen und tun. – Was ruft sie an Verwegenem, Unvorhersagbarem in unserem Leben hervor? Wo spricht sie mich ganz persönlich an? Wozu öffnet sie mein Herz, in dieser Passionszeit im Jahr 2020?

Wir singen dazu nun das Lied EGB 401, 1-3+6-7.

Lassen Sie uns gemeinsam beten mit Worten aus Taizé:

„Gott, du bist immer unter uns. Du begleitest uns; selbst in den dunklen Nächten bist du bei uns, wenn alles uns zurückhalten will, den Schritt vom Zweifel zum Glauben zu tun, den Schritt zum Vertrauen, zur Hingabe an dich. Christus, in der Tiefe unseres Zweifels erwartest du uns mit brennendem Vertrauen“, deine Liebe heilt und segnet unser Herz.

Gottes Segen sei in allem mit Ihnen – Gottes Segen ist in allem mit Ihnen!

Cordula Ruwe
(Besucherseelsorge im Dom)

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